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Diese Geschichte hat meine Tochter letztes Jahr im Alter von 6 unter dem Pseudonym "Meier-Jessi" (kein Scherz) per Hand geschrieben.


Prolog


Am Morgen zog sich Miea ihr morgendliches Ballettkleid an und putzte die Zähne. Dann kämmte sie ihre Haarmähne. Mieas Haare waren dunkelbraun und hatten grell pinke Strähnen.


1. Kapitel: Mieas Ausflug


Miea war ganz aufgeregt. Sie fuhr ins Museum. Das war schön, oder wie kann man denn nicht aufgeregt sein. Es gab … Blechtonnen! Und noch so einiges mehr. Es war so schön im Museum, dass sie fast platzen könnte.

Dann fuhren sie in die Rosenstraße ein. Dann guckten sie, was so im Fernsehen los war. Danach wollten sie noch etwas essen. Dann brachte ihr Papa sie ins Bett. Sie putzte die Zähne und kämmte ihre Haare. Dann ging sie ins Bett. Sie träumte davon, dass sie einen Drachen kennenlernte.

Plötzlich schreckte ich hoch. Der Drache hatte auf mich geschossen. Das war knapp, puuuuh. Ich musste mich erst mal beruhigen. Dann musste ich zur Schule. Das war blöde. Ich wollte mich mit Miray O. verabreden. Aber das ging nicht, wegen der Schule. „Öödee“, rief ich zu Mama.

In der Schule war so einiges los, dass sie fast untertauchte. Blöd, oder?

„Ach, ach so doof war die Schule noch nie.“ Sie ging wieder nach Hause. Dann wollte sie zur Blumenwiese. Plötzlich tauchte ein blaues Fabelwesen auf. Was es wohl war?


2. Kapitel: Der blaue Drache


Er war ein DRACHE. Sie hatte ihm in die Augen geblickt und sie wusste es. Dann sprachen sie miteinander.

„Wow, du bist ja ein richtiges Prachtexemplar.“ Das war er.

„Ich heiße Walka und komme aus Drachius.“

„Ohh, schön klingt das.“

„Ich wollte von dir, dass du den Stein des Vergessens holst, weil du dazu auserwählt bist.“

„Wow, das ist ja schön“, fand sie.

Sie machten sich auf den Weg zum Wasserfall. Er lag auf einer verlassenen Insel. „Wow.“ Wir staunten. Soo schöön war eine verlassene Insel?

„Wow“, sagte auch Walka.

Dann suchten und suchten sie, aber sie fanden immer noch nichts. Dann tauchte ein winziger, hellblauer Stein auf.

„Ist er es?“

„Ja, er ist es. Du musst ihn dafür einsetzen, dass alle Menschen mich vergessen außer du.“

Sie machten es. Buum.

„Ja, wir haben es geschafft“, rief sie.

Dann ging sie nach Hause. Toll war es zuhause. Sie aß was. „Düm, düm, dedüm“, rief sie. Soo schön war es noch nie zuhause. Dann ging sie ins Bett. Sie träumte davon, dass sie mit dem Drachen den Stein holte.

ENDE

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  • AutorenbildJanila Fuchs

Die Lichter des Himmels schienen durch die meterhohen Wipfel der Bäume des wandelnden Waldes. Heute waren es grüne Nadelspitzen, die der Morgen mit glitzerndem Frost überzog, doch am folgenden Tag könnte es bereits orange geflecktes Laub sein – gerade so, wie es dem Wald gefiel. Der Ort hatte wie alles seinen eigenen Willen und veränderte sich stetig. Dabei ließ er bloß ein kleines Fleckchen aus: das Heim der jungen Magierin Arany.

Doch es war nicht das hübsche Häuschen mit den weißen Fassaden und dem moosgrünen Spitzdach, das stets nach Rosen duftete, welches die umstehenden Bäume vom Näherrücken abhielt. Es war dessen Bewohnerin, die mit ihrer dauerhaft miserablen Befindlichkeit sogar den Efeu davor abschreckte, den Stein ihres Heims zu bewachsen, wodurch die Romantik des Anblicks vollkommen wäre.

»Besagte Bewohnerin hat sich weder dieses Heim mit seinem penetranten Gestank nach Blumen noch ihr ach so liebreizendes Äußeres selbst ausgesucht«, Arany unterstrich ihr Gesagtes mit wilden Gesten ihrer Hände und warf dann ihr güldenes Haar anmutig über die Schulter.

»Im Ernst?«, fragte sie und zog dabei eine Augenbraue in die Höhe. In ihren kristallgrünen Iriden blitzte auf. »Diese Schmach von Haar gehört bald der Vergangenheit an. Und dann wird meine elende Familie schon sehen, wen sie da verstoßen hat.«

Arany trat vom Fenster zurück ins Innere ihres Heims und auf die ordentlich sortierten Fläschchen und Tiegel ihrer Trankküche zu. Das Gold ihrer Haare hatte sich erst zweihundert Monde nach ihrer Geburt offenbart und sie damit zu einem Leben in Einsamkeit verdammt.

»Ich bin nicht einsam«, sagte Arany und blätterte in dem alten Rezeptbuch ihrer Familie, das sie vor wenigen Tagen entwendet hatte. »Ich habe schließlich meinen treuen Kater Feuerherz.« Das seltene Lächeln, das nun auf ihren Lippen erschien, trat immer dann zutage, wenn es um ihren geliebten Begleiter ging. Er war mehr als ein Haustier, mehr als ein Freund. Feuerherz war ihr Seelengefährte.

Seit nunmehr zwölf Monden versuchte die Magierin mit seiner Hilfe ein Mittel herzustellen, welches ihrem Haar die Farbe tintenschwarzer Nacht verlieh, doch sie scheiterte seit jeher. Statt ihr Schicksal, dem Geschlecht der Goldenen angehörig zu sein, zu akzeptieren, widmete sie ihr Leben der Aufgabe, wieder in den Kreis der Schatten aufgenommen zu werden.

»Mein Schicksal akzeptieren? Pah. Noch niemals in der Geschichte der Magier offenbarte ein Kind der Schatten am 200. Mond sein goldenes Haar.« Sie fuhr mehrere Zeilen auf der Seite des Buches entlang und griff nach einigen Tiegeln, die sie vor sich aufreihte. »Außerdem fehlten mir bisher die Rezepte der Familie, die ich natürlich nicht entwendet, sondern lediglich ausgeborgt habe.«

Arany schraubte eines der Döschen auf und zog mit spitzen Fingern den Schwanz einer Eidechse heraus. Als sie den Tiegel geöffnet neben dem aufgeschlagenen Buch stehenließ, rollte der Deckel auf sie zu und schnitt sie in den Finger.

»Au, verflucht!«, rief sie und steckte sich den Finger in den Mund, als er zu bluten begann.

Glücklicherweise waren nur die Schattenmagier zum Aussprechen von Flüchen befähigt, ansonsten wäre nun der unglückselige Tiegel zu andauerndem Schmerz verdammt.

»Er hat mich zuerst geschnitten«, schimpfte die Magierin und verschloss den Tiegel, welcher sich daraufhin betont langsam zurück auf seinen Platz begab. »Außerdem bin ich eine Schattenmagierin!«

Sie wandte sich mit dem Eidechsenschwanz zwischen Daumen und Zeigefinger um und blickte in den gold-gerahmten Standspiegel, der sich von hinten an sie herangeschlichen hatte.

»Ich hasse dieses Haus«, rief sie und sah sich dabei direkt in die Augen, betrachtete ihre weichen Gesichtszüge, die rosigen Wangen und das golden schimmernde lange Haar. So oft hatte sie eine Schere angesetzt, welche sich jedoch bloß ihrem Willen widersetzt hatte. Wie alles in diesem Haus.

»Damit ist nun Schluss«, sagte Arany zu ihrem Ebenbild und scheuchte den Spiegel aus dem Weg, um den Zinnkessel zu erreichen. Mit einer schnellen Bewegung warf sie den Eidechsenschwanz hinein, bevor das Gefäß es sich anders überlegen und ihr den Körperteil des Schuppentieres zurückschleudern konnte. Der Inhalt des Kessels warf dunkle Blasen, doch der Gestank nach Fäulnis wurde vom intensiven Rosenduft überdeckt.

»Leider«, murmelte die Magierin und blickte zu den Knoblauchzehen hinauf, die sie überall aufgehängt hatte. Dass das Haus dies geduldet hatte, glich einem Wunder.

Arany schloss die Augen und tat einen tiefen Atemzug, bevor sie einen Zauber sprach:

»Krötengift und Schneckenschleim

Verflucht sollst du, mein Haar sein

Zu ewig dunkler, finst’rer Nacht

Auf dass die gold’ne Sonne niemals mehr erwacht.«

Sie starrte auf den Kessel, nachdem die letzten Worte ihre vollen Lippen verlassen hatten. Die Blasen erschienen immer zahlreicher, dehnten sich aus, platzten und hinterließen dabei ölige Spritzer auf dem schönen Gesicht der Magierin. Doch mit einem Mal wurde es wieder still im Kessel. Nichts regte sich mehr.

»Feuerherz?«, rief die junge Frau mit jammerndem Unterton in ihrer Stimme. »Was habe ich nun schon wieder falsch gemacht?«

Arany wischte sich mit dem Handrücken über ihr Gesicht und verließ die Trankküche, um nach ihrem Kater Ausschau zu halten. Das Tier konnte zwar bloß auf eine recht eigenwillige Weise mit der Magierin kommunizieren, doch es wies sie meist auf ihre Fehler beim Zaubern hin. Und diese waren reichlich an der Zahl. Auf dem Weg aus der Trankküche stolperte Arany über ein Paar roséfarbener Plüschpantoffel, die sich zum Ankleiden bereitgestellt hatten.

»Dieses Haus glaubt noch immer, dass ich so etwas anziehe.« Die Magierin schnaubte und rieb sich mit dem rechten, besockten Fuß über die nackten Zehen ihres linken. Sie betrat die kleine Schlafstube, die beinahe gänzlich von einem Himmelbett eingenommen wurde, das über und über mit großen und kleinen, flachen und bauschigen, runden und quadratischen …

»Ja, ja auf meinem Bett liegen ziemlich viele Kissen«, grummelte Arany. »Und ganz egal, wie viele von ihnen ich hinauswerfe, sie türmen sich jedes Mal wieder zu diesem undurchdringlichen Berg auf. Wie soll man denn so bitte schlafen?«

Arany hob einige der Kissen an, öffnete den Kleiderschrank und lugte unter das Bett. Ihren Kater konnte sie nirgends entdecken. Auch im Waschraum und auf seinem Lieblingsplatz, dem lauschigen Teppich hinter dem Kamin, wurde sie nicht fündig. Dennoch verharrte sie einen Moment länger an diesem Ort und strich über die kleine Mulde, die er im Teppich hinterlassen hatte.

»Dieser nichtsnutzige Fellball wird doch wohl nicht in den Wald verschwunden sein«, schimpfte die Magierin etwas später bei einem Blick in ihre Vorratskammer. Dabei sollte ihre Wut lediglich über ihre Sorge darüber, was mit ihrem Gefährten geschehen war, hinwegtäuschen.

Und auch, wenn sie es sich niemals eingestanden hätte, so fürchtete sie sich vor dem Gang in den wandelnden Wald, denn dort konnte sie jederzeit einem Mitglied des Schattengeschlechts begegnen.

»Einem Mitglied meiner Familie. Und nein, ich fürchte mich nicht vor einem läppischen Spaziergang. Schließlich ist der Wald ein wirklich schöner Ort.« Bei diesen Worten durchlief ein Zittern ihren zarten Körper und ihr versagte die Stimme.

Arany streifte ihren ledernen Mantel mit der spitzen Kapuze über und glitt in die dunkelroten Stiefel, als bereits die Haustür aufschwang und ein Luftstoß die junge Magierin nach draußen schob. Die goldblonden Haare lugten seitlich aus der Kapuze hervor und umrahmten ihr engelsgleiches Gesicht.

»Ja, ja. Mittlerweile haben glaube ich alle verstanden wie ich aussehe.« Arany schlang sich die Arme um den Körper, blickte sich um und lauschte.

Die Lichter des Himmels hatten seit dem Morgen an Intensität eingebüßt und beleuchteten die kleinen perligen Wassertropfen aus geschmolzenem Frost.

»Hier herumzustehen wird Feuerherz auch nicht zu mir zurückbringen«, sagte Arany leise zu sich selbst und verfluchte im nächsten Moment den Wind, der ihre Stimme mit sich trug, da es gewiss war, wohin er wehte. »Verräterisches Lüftchen. Einer solchen Naturgewalt hätte ich ein wenig mehr Durchsetzungskraft zugetraut.«

Die Schattenmagier waren nicht nur in der Lage, Flüche auszusprechen, sie konnten auch jedes Wesen, sogar den Wind, ihrem Willen untertan machen.

Arany stapfte mit bedachten Schritten über den Waldboden, um über keine der zahllosen herausragenden Wurzeln zu stolpern, mit denen sich die Bäume fortbewegten. In diesem Moment waren sie jedoch still, beinahe, als hielten sie den Atem an, während die junge Magierin durch ihre Reihen schritt und dabei eine Aura des Missmuts mit sich umhertrug. Zwischen dem Wurzelwerk breitete sich das Moos zu einem dichten grünen Teppich aus, in den Arany bei jedem ihrer Schritte leicht versank.

Plötzlich brach ein Tier aus den Zweigen zu ihrer Rechten hervor und die Magierin wich so hektisch zurück, dass einer ihrer Mantelärmel an einem Zweig hängen blieb und mit einem lauten Geräusch riss. Das bedauernswerte Kleidungsstück schwang verärgert um Aranys Beine.

»Sobald ich wieder zaubern kann, werde ich dich schon reparieren«, sagte die junge Frau und hatte dabei ihre Augen auf das Tier mit dem rotbraunen Fell geheftet, das sie mit schief gelegtem Kopf fixierte.

Die spitz zulaufende Schnauze verbarg scharfe Raubtierzähne und der bauschige Schwanz mit dem weißen Ende täuschte in seiner Niedlichkeit nicht darüber hinweg, wie gefährlich der Fuchs für eine junge Magische war. Nämlich ganz und gar nicht.

»Diese Tiere sind dermaßen gerissen. Außerdem stehlen sie unsere Gefährten«, rechtfertigte Arany ihre erstarrte Haltung. Mit Gefährten meinte sie jene Tiere, die eine häusliche Gemeinschaft mit den Magischen eingingen.

Mit erhobenen Händen ging sie ein paar Schritte rückwärts, bis der Fuchs sich desinteressiert abwandte und im Unterholz verschwand.

»Unser Goldlöckchen«, erklang im nächsten Moment eine weibliche Stimme hinter Arany. »Da habe ich also doch richtig gehört, was der Wind mir ins Ohr geflüstert hat.«

»Dabei muss ihr doch klar sein, dass sie sich in unser Territorium verirrt hat«, erwiderte eine andere.

Arany drehte sich zu den beiden Schattenmagierinnen um, die nur wenig älter als sie selbst waren. Vor etlichen Monden hatten sie noch als Kinder gemeinsam im Dorf der Schatten gespielt, doch diese Zeiten waren nun vermutlich nicht mehr als verblasste Erinnerungen.

»Wie schön euch auf meinem Spaziergang zu begegnen, Schattenschwestern«, erwiderte Arany mit einer Stimme, die wohl fest und erhaben klingen sollte, doch sie glich eher einem lieblichen Flüstern.

»Auf einem Spaziergang soll sie sich befinden?«, fragte die Schattenmagierin mit dem scharf geschnittenen kurzen Haar, als stände Arany nicht direkt vor ihr. »Niemals«, antwortete die andere, deren tiefschwarzes Haar in Wellen bis zu ihren Knien reichte. »Dafür, dass sie sich im Wald verirrt hat, kann es bloß zwei Gründe geben: Entweder sie will uns erneut bestehlen oder … «

»… sie hat ihr geliebtes Katerchen verloren«, beendete die Kurzhaarige den Satz mit einem Lachen in der Stimme.

Arany wich zurück, als sich ihr die Andere näherte und sie dabei zum ersten Mal richtig ansah. »Wo ist unser Rezeptbuch, Schöne?«

Als die Goldene ihr keine Antwort gab, hob sie ihre Hände zu den Bäumen empor und senkte ihre dichten schwarzen Wimpern. Mit einer Stimme wie aus tausenden Mündern zugleich, begann sie einen Zauber zu sprechen:

»Komm herbei du Vogelschar

Tu dich gütlich an dem güldnen Haar

Verflucht soll die Ausgestoß’ne sein

zu ew’ger Schmach und übler Pein.«

Sie zog mit einer geübten Handbewegung ein einzelnes Haar aus ihrem Schopf, das sogleich in grauem Rauch aufging.

Noch bevor Arany die Gelegenheit bekam, sich Gedanken über diesen Abschluss des Zaubers machen zu können, stieß bereits ein Schwarm verschiedenartiger Vögel auf sie hernieder. Sie rupften und zerrten an ihrem Haar, stießen spitze Krallen in ihre Kopfhaut und schlugen mit ihren Flügeln in ihr Gesicht, bis sie das Gleichgewicht verlor, zurücktaumelte und hinfiel. Wie sehr die Attacken des Federviehs auch schmerzen mochten, so sehr musste sie sich dennoch wünschen, dass sie ihr jedes Haar einzeln herausrissen, damit sie von ihrem Schicksal befreit und wieder Teil ihrer Familie wäre. Stattdessen würde ihre Frisur bei ihrer Heimkehr wieder so elend perfekt aussehen wie eh und je.

Das Lachen der Schattenmagierinnen vermischte sich mit dem Rauschen der Flügelschläge zu einem beinahe unerträglichen Geräusch und Arany traten Tränen in die Augen.

»Wo ist denn ihr treues Katerchen, um sie zu retten?«, fragte diejenige, die sie verflucht hatte.

»Wir hätten diesen roten Abschaum wohl gar nicht verfluchen müssen. Sie allesamt verlassen die Goldenen ohnehin, sobald sich ihnen die Gelegenheit dazu bietet.« Das war die mit dem Kurzhaarschnitt. Im nächsten Moment keuchte sie schmerzerfüllt auf, nachdem die andere ihr einen Schlag auf den Hinterkopf versetzt hatte. »Aua. Was sollte das denn?«

»Hüte deine Zunge, wenn sie anwesend ist«, zischte die mit dem langen Haar.

Als die Vögel endlich von ihr abließen, blieb Arany noch minutenlang am Boden hocken. Wohl, um ihren Peinigern nicht in die Augen blicken zu müssen. Doch diese waren bereits verschwunden.

»Wen hat sie gemeint, als sie von den Roten sprach?« Die junge Magierin erhob sich und streifte die Kapuze über.

Die Bäume in ihrer Umgebung hatten sich vollkommen geräuschlos bewegt und standen nun in einer langen Reihe zu ihrer Rechten. Die ausladenden Äste verdeckten den Himmel und bildeten einen tunnelartigen Durchgang.

»Du wirst es mir wohl nicht verraten.« Arany kniff ihre Augen zusammen und versuchte zu erkennen, wohin der entstandene Weg sie bringen mochte. »Da ein Fluch von ewiger Schmach und Pein auf mir lastet, bin ich grundsätzlich erst einmal misstrauisch, wenn Bäume mir einen Weg weisen.«

Damit hatte die Magierin nicht ganz Unrecht, doch mit Flüchen war das so eine Sache. Wie sie zu deuten waren, lag ganz im Sinne der am Fluch Beteiligten. Schließlich wurde die junge Frau bereits seit einigen Monden von stetiger Schmach und Pein begleitet.

»Erinnere mich nicht daran.« Mit resignierter Geste schlug sie den von Bäumen gesäumten Weg ein. Was blieb ihr auch anderes übrig?

Womit sie dabei wohl nicht gerechnet hatte, war, dass der eingeschlagene Pfad sie tatsächlich an ihr gewünschtes Ziel zu bringen vermochte. Auch wenn sie zu diesem Zeitpunkt noch nicht ahnen konnte, welcher Art und Weise dieses Ziel war und inwiefern dies ihr restliches Leben verändern würde.

»Entweder hörst du mit diesen unverständlichen Andeutungen auf oder du wirst gefälligst ein wenig konkreter.« Arany hatte das Ende des Pfades erreicht und blickte auf eine weiße Brücke, die wenige Meter von ihr entfernt eine schmale Senke überspannte. Ihr Geländer war aus Metall gefertigt und bildete feine verschlungene Muster. Sie näherte sich dem Übergang und blickte auf die andere Seite, die sich von ihrer nicht unterschied. Sobald die junge Magierin einen Stiefel auf die Holzplanken setzte, entzündeten sich drei Kerzen, die hinter Glas in einem Kandelaber thronten.

»Drei. Es waren drei …«, murmelte Arany und presste ihre Lippen aufeinander. Sie fasste sich an die Stirn und kniff ihre Augen zusammen, als versuchte sie, sich an etwas zu erinnern. »Gold, Schatten und …« Sie riss die Lider auf, tat einen weiteren Schritt und war mit einem Mal nicht mehr im Wald.

»Wo bin ich dann?«, fragte die Magierin und sah sich um. Eine weitläufige hügelige Ebene bedeckt von knöchelhohem Gras erstreckte sich in alle Richtungen. Doch Arany wusste, dass nichts so war, wie es auf den ersten Blick schien. Sie hatte ein Portal durchschritten, was sie zumindest von dem Fluch der Schattenmagierin befreite. Kleinere Flüche wie dieser hielten einer solchen Barriere nicht stand.

»Feuerherz? Ich hab echt viel durchgemacht, um dich zu suchen, Katerchen.« Dem missmutigen Klang ihrer Stimme hatte sich ein trauriger, beinahe ängstlicher Unterton beigemischt. So sehr sie es auch bestreiten mochte, die Magierin liebte ihren Feuerherz aus tiefster Seele, ansonsten hätte sie diese Reise niemals auf sich genommen.

Arany setzte sich ins Gras, faltete ihre Beine zu einem Schneidersitz und bettete das Kinn auf ihre verschränkten Hände. Die Zeit dehnte sich aus, und sie verharrte in dieser Position, bis schließlich etwas Flauschiges zwischen ihren Armen hindurch tauchte und sich auf ihrem Schoß zusammenrollte. Dabei fügte es sich perfekt in diese Kuhle ein, als wären beide zwei Teile eines Puzzles.

»Da bist du ja endlich.« Zärtlich kraulte die junge Magische das leuchtendrote Fell ihres Katers, das ihm seinen Namen eingebracht hatte.

Doch Feuerherz verblieb nicht lange in diesem Moment der Wiedersehensfreude, sondern sprang von ihrem Schoß auf und sah sie mit seinen orangefarbenen Augen eindringlich an.

»Was ist los?«, fragte Arany und kam ebenfalls auf die Beine. Im gleichen Moment sprintete das Tier bereits voraus und die Magierin folgte ohne ein Zaudern.

Beide verstanden einander stets ohne Worte und zögerten nie, dem anderen zur Hilfe zu eilen. Auch wenn es meist Arany war, die der Unterstützung ihres Katers bedurfte, so schien es nun andersherum zu sein.

Nach einer Weile kamen sie an einer kleinen Baumgruppe an, die jedoch nicht zu dem wandelnden Wald gehörte, in dem das Heim der jungen Magierin stand.

Der Baum im Zentrum war anders als die anderen, sein Bewusstsein auf seltsame Weise präsent. Ein erheblicher Teil seines Wurzelwerks lag frei, da die Erde von seinem Stamm her abfiel. Die Wurzeln wirkten wie unzählige Arme eines mächtigen Kraken und an einer Stelle wölbte sich die Rinde des Baumes wie zwei Augen hervor, was den Eindruck verstärkte.

Feuerherz verschwand zwischen dem dichten Wurzelwerk und Arany kniete nieder, um zu erspähen, wohin er wollte.

»Ach, deshalb bist du immer wieder fort gewesen …« in einem schmalen Hohlraum lag in einem Nest aus Laub und kleineren Zweigen eine weitere Katze neben ihrem Kater Feuerherz. Auch sie hatte rotes Fell, soweit es sich in dem dämmrigen Licht ausmachen ließ, und ihr gewölbter Bauch offenbarte, dass sie Junge erwartete. Der Kater leckte zärtlich über den Kopf der trächtigen Katze und Arany wandte kurz ihren Blick ab.

»Das ist absolut albern, er ist bloß ein Tier«, sagte sie leise. »Eure Verbindung zueinander ist vollkommen anderer Natur.« Doch in ihren Augen waren so viel mehr Gefühle abzulesen, als sie offen aussprach und als sie denen von Feuerherz begegnete, spiegelte er diesen Ausdruck auf allzu menschliche Weise.

»Wieso hast du mich hergebracht?«, fragte die Magierin. »Deine Katzendame ist hier in Sicherheit und eure Kinder werden es ebenfalls sein.«

Nach diesen Worten sprang der Kater ihr entgegen, sodass Arany zurücktaumelte und auf ihrem Hinterteil landete. Er schnappte nach ihren goldenen Haarsträhnen, zog daran und stieß einen kläglichen Laut aus.

»Stopp! Was ist denn nur in dich gefahren? Was willst du mir sagen?« Des Öfteren hatte die Magierin versucht, einen einfachen Zauber zu wirken, welcher sie dazu befähigen würde, die Sprache der Tiere zu verstehen, doch bedauerlicherweise ohne Erfolg.

Die Verzweiflung, die jedoch in diesem Augenblick aus jeder Faser ihres geliebten Tieres sprach, schien Arany Kraft zu verleihen. »Ich versuche es ein letztes Mal«, sagte sie und folgte erneut ihrem Kater, der sie zu einem Kraut führte, das in der Nähe des seltsamen Baumes wuchs.

Arany kniete sich nieder, schloss die Augen und seufzte leise. »Darf ich dich für einen Zauber nutzen?«, fragte sie die purpurfarbenen Blätter der Pflanze mit leicht genervtem Unterton in der Stimme. Bisher hatte sie sich stets geweigert, eine Pflanze um etwas zu bitten. »Mein Kater braucht Hilfe und ich würde ihm gern eine Stimme verleihen, um herauszufinden, was ich für ihn tun kann.«

Sie streckte ihre Hand aus und wartete, bis sich das Kraut aus dem Boden erhob und samt feinem Wurzelwerk auf ihren Fingern landete. Dies war die goldene Form der Magie, welche die junge Frau bisher stets abgelehnt hatte. Doch Feuerherz schien zu wissen, was zu tun war und sie war voller Vertrauen. Dabei stellte sie ihren Kater über ihren eigenen Stolz.

Arany rieb die Pflanze sanft zwischen ihren Händen, schloss noch immer am Boden kniend die Augen, tastete dann mit dem Pflanzensaft an den Fingern nach ihren Haaren und zupfte eines heraus.

»Pflanzenkraft und güldnes Haar

Sie machen einen Traum nun wahr

Eine Stimme zum Geschenk

Auf dass er ewig ihr gedenk.«

Das einzelne Haar zerstob in einer Wolke aus goldenem Glitzer und die Magierin riss ihre Augen weit auf. Noch nie hatte sie einen goldenen Zauber gewirkt. Tatsächlich hatte Arany bisher keinen einzigen Zauber zustande gebracht, da sie erst am 200. Mond dazu in der Lage gewesen war, aber die Magie der Schatten ihr nicht gehorchen wollte. Und da sie nicht hatte akzeptieren wollen, einem anderen Geschlecht angehörig zu sein …

»Jetzt hör doch auf, andauernd in der Wunde herumzubohren.« Aranys altbekannte Launenhaftigkeit war zurückgekehrt, obwohl sie gerade in Begriff war, ihren Kater vor großem Unglück zu bewahren.

»Mit wem sprichst du?«, fragte eine tiefe Stimme, welche rau und samten zugleich klang.

Die junge Magierin blinzelte und blickte ihrem Kater in die Augen. »Es hat funktioniert? Der Zauber hat tatsächlich gewirkt?«

»Ich wusste, dass du es schaffst«, antwortete Feuerherz. »Doch jetzt musst du mir zuhören. Der Zauber schenkt mir nur für begrenzte Zeit diese Möglichkeit der Kommunikation. Tief in deinem Herzen hast du bereits erkannt, was hier vor sich geht. Wir sind nicht, was wir zu sein scheinen. Die Schattenmagier haben uns verflucht. Und nur die Goldenen sind in der Lage …« Statt weiterer Worte verließen nur noch Katzenlaute das Maul des Tieres. Feuerherz schien es nicht zu bemerken, sondern war noch immer in seine Botschaft vertieft, die jedoch erhebliche Lücken aufwies.

»Was für ein Fluch? Wozu sind die Goldenen …« Arany räusperte sich. »… wozu bin ich in der Lage?«

»Ihre Kinder sind ansonsten verloren«, waren die letzten Worte, die der Kater noch undeutlich zustande brachte, ohne dabei auf die Fragen seiner Gefährtin einzugehen. Dass die ungeborenen Jungen in Gefahr waren, schien ihm besonders wichtig gewesen zu sein.

»Ich spreche Flüche aus und breche sie nicht«, murmelte Arany und vergrub ihr Gesicht in den Händen. Sie atmete einmal tief ein und aus, hob den Kopf und starrte auf den purpurnen Pflanzensaft, der noch an ihren Fingern klebte.

»Na schön. Was soll ich tun, mein Lieber?« Die Magierin blickte kurz hinüber zum Nest der trächtigen Katze und ein Ausdruck des Schmerzes huschte über ihr Gesicht, ohne dort zu verweilen. Bisher war sie die alleinige Gefährtin ihres Katers gewesen und nun gab es eine andere. Eine wichtigere Partnerin für ihren Feuerherz.

Arany erhob sich, um dem Kater zu weiteren Heilpflanzen zu folgen, da erbebte plötzlich der Boden. Feine Risse zogen sich durch das Erdreich und die Luft flimmerte. Die kleine Welt, welche die Magierin über die Brücke im wandelnden Wald betreten hatte, war im Begriff, in sich zusammen zu fallen.

»Goldlöckchen und die Roten sind uns also durch dieses erbärmliche Schlupfloch entwischt. Hattest du nicht gesagt, du hättest sie alle gestopft?« Die Worte stammten von der langhaarigen Schattenmagierin, die den Fluch über Arany ausgesprochen hatte.

»Diese Brücke muss ich wohl übersehen haben«, antwortete die Kurzhaarige. »Aber ist es nicht umso besser, dass wir sie nun hier in die Enge getrieben haben? Schließlich dauert es nicht mehr lange, bis unser Fluch unumkehrbar wird.«

Ihrer Begleiterin entwich ein genervtes Stöhnen. »Wieso nur kannst du niemals deinen Mund halten?«

Beide Schattenmagierinnen näherten sich dem Versteck der trächtigen Katze und hielten dabei Arany und Feuerherz fest im Blick.

»Der Fluch wird unumkehrbar«, flüsterte die goldene Magierin und ihr Gesicht wirkte, als seien die Puzzleteile vor ihrem inneren Auge nun zu einem Gesamtbild vereint.

»Sie vererbt den Fluch an ihre ungeborenen Kinder, richtig?«, wandte sie sich an ihren Kater.

Ein Blick zwischen ihnen genügte, um die Wahrhaftigkeit dieser Aussage zu bestätigen. Angst flackerte in ihrer beider Augenpaare auf.

»Dass du nach all der Zeit allein im Wald mit deinem Haustier sprichst, sollte mich wohl nicht verwundern«, sagte die Schattenmagierin mit dem langen Haar und blieb dann unmittelbar vor dem Eingang zum Versteck der Katze stehen.

»Du weißt doch, wie einsam ich bin«, erwiderte Arany mit leisem Zittern in der Stimme. Sich klein und schwach zu geben könnte ihre Rettung sein, da die Schattenmagier stets davon ausgingen, als Sieger aus einer Situation hervorzugehen.

Doch dieses Mal wollte die langhaarige dunkle Magierin mehr. In ihren Augen lag die bittere vorfreudige Erwartung darauf, jemanden leiden zu sehen. Es schien ihr nicht zu gefallen, dass sich die Katzen hinter einem Portalschleier versteckt hatten. Ein böses Lächeln umspielte ihre schmalen Lippen, als sie sich unvermittelt niederkniete und zwischen das Wurzelwerk griff, aus dessen Richtung ein schmerzhaftes Mauzen erklang. Im nächsten Moment fuhr die Magierin zurück und presste die Lippen fest aufeinander. Dunkles Blut tropfte von einigen Kratzern an ihrem Arm auf den Erdboden. Sie verengte die Augen, verdrehte die Pupillen, sodass nur noch das Weiß zu sehen war, und zog dann die trächtige Katze wie an einem unsichtbaren Band aus ihrem Versteck. Obwohl sie bereits ihrem Willen unterlegen war, packte die Schattenmagierin die Katze im Nacken, sobald sie in ihrer Reichweite war. Nun wehrte sie sich allerdings nicht mehr.

Dafür war Feuerherz mit einem Satz bei der Schattenmagierin angelangt und attackierte sie mit allem, was ihm zur Verfügung stand. Ihn unterwarf sie nicht ihrem Willen, als genieße sie seinen aussichtslosen Kampf und die Wunden an ihren Waden, die er ihr mit Zähnen und Krallen zufügte.

Aranys Hände zitterten, sie blickte schnell zwischen der grauenvollen Szene und dem Waldboden hin und her, auf dem sich die Risse immer weiter ausdehnten. Lange würde die Welt nicht standhalten und dann wären nicht nur sie und die Katzen verloren. Sie suchte den Wald nach geeigneten Pflanzen ab, obwohl sie sich bisher nie mit der Heilkunde auseinandergesetzt hatte.

Dennoch war die goldene Magierin derart zielstrebig, als hätte sie nie etwas anderes getan. Sie strich über grüne Blätter und gelbe Blüten und flüsterte ihnen zu: »Könntet ihr mir das richtige Kraut weisen? Sie brauchen mich.«

Kurz schloss sie die Augen, sog tief die Luft ein und pflückte schließlich einen weißen Blütenkelch, den sie rasch zwischen den Fingern zerrieb. Als ein hoher Schmerzenslaut auf einen dumpfen Schlag folgte, zuckte Arany zusammen. Sie drehte sich in die Richtung, in der Feuerherz reglos am Waldboden lag und die Katze noch immer in den Klauen der Schattenmagierin hing. Ihre hellroten Zitzen leuchteten auf dem gewölbten Bauch.

Eine Träne lief der Goldenen über die gerötete Wange und ihr Mund war zu einer schmalen Linie zusammengepresst. Abrupt wandte sie sich ab, zog ein Haar aus ihrem Schopf und flüsterte:

»Geliebter Kater mein

Gelöst soll euer Fluch nun sein

Mit der Kraft von Pflanz’ und Haar

Sei nun wieder was einst war.«

Die Glitzerwolke, die daraufhin aufstob, war weitaus größer als die erste. Sie dehnte sich aus und fegte durch den gesamten Ort, den das Portal bisher verborgen hatte. Glättete die entstandenen Risse und streifte dabei all die Katzen, die sich hier versteckt hielten. Der Zauber löste bei ihnen eine Verwandlung aus, die Arany nun bei ihrem Feuerherz und der schwangeren Kätzin beobachtete.

Letztere glitt der langhaarigen Schattenmagierin aus den Händen und kam auf ihren Beinen zum Stehen, zwei Beine, die im nächsten Moment unter ihr wegknickten, woraufhin die Frau zu Boden sackte. Die beiden dunklen Magierinnen gingen in Rauch auf und Arany hatte keine Zeit, sich darüber Gedanken zu machen.

Sie eilte zu der rothaarigen Frau, die ihre Knie zu sich herangezogen und die Arme um den Bauch geschlungen hatte. »Ist alles in Ordnung? Wie geht es deinen Kindern?«

Die junge Frau lächelte. »Es wird alles gut. Du hast uns gerettet.«

Als die goldene Magierin ihr in eine sitzende Position geholfen hatte, sah sie sich nach der Stelle um, an der Feuerherz zu Boden gegangen war. Sofort war sie bei ihm, bettete den Kopf des Mannes auf ihrem Schoß und strich ihm eine rote Haarsträhne aus dem schweißnassen Gesicht. Sie war genauso weich, wie es einst das Fell in seiner Katzengestalt gewesen war. Unzählige Sommersprossen und feine Bartstoppeln zierten sein Gesicht, das Arany voller Sorge betrachtete.

Im nächsten Moment schlug er die Augen auf, die nun von einem warmen Braunton waren. »Arany, mein Licht.« Seine Hand hob sich zu ihrer Wange und wischte die Tränen fort, die mittlerweile zahlreich erschienen waren.

»Mein Feuerherz. Wieso nur habe ich all die Zeit nichts geahnt. Ich war so blind und du …« die Stimme versagte ihr.

»Mach dir keine Vorwürfe. Es war ein ausgeklügelter Fluch, der euch Goldene vergessen ließ, dass es uns Rote je gegeben hatte. Denn vereint haben sie gegen uns keine Aussicht auf Erfolg.« Der Blick des Mannes glitt an ihr vorbei auf die schwangere Frau, die hinter die beiden getreten war.

Hastig zog Arany ihre Hand zurück und strich sich verlegen übers Haar. Ein solches Verhalten war nicht angemessen, schließlich erwarteten die beiden ein Kind.

Feuerherz lachte ein dunkles Lachen. »Sie ist meine Schwester.« Er setzte sich auf und umschlang Aranys Taille. Dann strich er ihr das goldene Haar hinters Ohr, kam nah an sie heran und raunte: »Das hier wollte ich bereits seit einer Ewigkeit tun.«

Er nahm ihr Gesicht zwischen beide Hände und küsste die goldene Magierin so innig, dass ihr ein leises Seufzen entfuhr.

Tief in ihren Herzen hatten beide schon immer geahnt, zwei Hälften eines Ganzen zu sein. Doch erst als Arany sich eingestanden hatte, eine Goldene zu sein, hatte sie ihren geliebten Feuerherz befreien und seiner Schwester helfen können, welche wenige Tage später drei gesunde Kinder zur Welt brachte. Das rote Magiergeschlecht würde Bestand haben und war in enger Verbindung mit den Goldenen machtvoll wie eh und je.

Und Arany? Sie wirkte von diesem Tag an lediglich die goldene Form von Magie. Ob sie sich deswegen jemals mit ihrem liebreizenden Aussehen und dem Rosenduft ihres Heims abfand? Selbstverständlich nicht. Dennoch hatte sich etwas verändert. Sie war nun glücklich. Ob golden, grau oder rot – sie hatte den Mann ihres Herzens an ihrer Seite und das war alles, was zählte.

Und wenn sie nicht gestorben sind …

»Etwas Besseres fällt dir nicht ein?«, fragte Arany. »Ich dachte, das hier sei ein modernes Märchen.«

Also gut: Seither waren sie superhappy und teilten ihr Leben in jedem sozialen Netzwerk.

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Eine Gänsehaut lief mir über die Arme und ich zog die Strickjacke enger um meine Mitte. Obwohl ein goldener Oktobertag hinter dem kleinen Städtchen Gloomy Village lag, war es nun, wo der volle Mond durch die kahlen Baumkronen zu sehen war, deutlich kälter. Wahrscheinlich hätte ich einfach auf Lucys Halloweenparty gehen sollen, auch wenn sie mich nicht dazu eingeladen hatte. Als meine beste Freundin wusste sie, dass ich diesen Feiertag nicht leiden konnte. Na ja eigentlich wusste es meine ganze Stufe, aber Lucy war die Einzige, die auch den Grund dafür kannte.

Nun stand ich ausgerechnet in dieser Nacht mitten im städtischen Wäldchen und starrte auf das bronzene Schild, das an einer niedriger Mauersäule befestigt war. Mit dem Finger strich ich über die Gravur und las die wenigen Zeilen:

Castle of Gloomy Village

1889

Lord Wellington

Auf der Säule thronte die Figur eines Löwen, der starr zu mir hinabblickte.

»Mila, was tust du hier?«, flüsterte ich und die Worte vermischten sich mit dem Säuseln des Windes. Ich tastete in meiner Hosentasche nach dem Zettel, um mich zu vergewissern, dass er noch dort war. Dass ich mir das alles nicht bloß eingebildet hatte. Ich hätte ihn einfach zusammenknüllen und in den Papierkorb werfen können, als ich ihn heute Morgen in meinem Schließfach in der Schule gefunden hatte. Stattdessen waren die Buchstaben vor meinen Augen verschwommen, während ich auf die Worte, die noch immer in mir nachhallten, gestarrt hatte: »Mila, komm heute Abend um Mitternacht zu meinem Heim. Du wirst erwartet.«

Unterzeichnet war die Nachricht mit dem Namen einer Frau gewesen, den die meisten aus der Stadt nur hinter vorgehaltener Hand aussprachen. Miss Wellington war, glaubte man den Meinungen mancher, eine Hexe. Oder einfach eine Verrückte. Es kam ganz darauf an, wen man fragte. Auch wenn dieser Zettel nach einem albernen Halloweenstreich klang, war er für mich zu einem inneren Sog angewachsen, der meine Kehle eng werden ließ. Dabei hatte ich wirklich versucht, besonders früh schlafen zu gehen und den Zeitpunkt bewusst zu verpassen.



Aber nun stand ich hier. Hatte noch nicht den sandigen Weg betreten, der zur Eingangstreppe des Anwesens führte und im Licht des Mondes gelb schimmerte. Feine Nebelschwaden lagen über den weiter hinten liegenden Türmchen und Erkern des Gebäudes, das sowohl an Tag als auch bei Nacht die Farbe von Rauch hatte. Meine Finger fuhren über die rauen Backsteine der Säule, die bereits teilweise verwittert war. Sie wirkte seltsam verloren und lag noch einige Schritte vom Anwesen entfernt.

Ich schob den Ärmel meiner Strickjacke zurück und blickte auf die leuchtende Anzeige meiner Uhr. Gerade wanderte der Sekundenzeiger in Richtung 12, wo bereits die anderen beiden Zeiger auf ihn warteten. Doch im nächsten Moment wurde das Display plötzlich schwarz und ein Tippen das Glas bewirkte lediglich, dass Lichtblitze darüber zuckten. Wieso sollte die Uhr ausgerechnet um Punkt Mitternacht ihren Dienst versagen?

Ich hob meinen Blick zum Gebäude. Die zuvor eher diffusen Nebelschwaden schienen jetzt deutlich heller zu leuchten und als im Ast neben mir eine Eule aufstob, zuckte ich zusammen. All meine Sinne waren auf Flucht kalibriert, dennoch bewegten sich meine Beine wie automatisch und trugen mich zu der breiten Treppe aus Stein. Die Eingangstür wirkte wie ein schwarzes Loch, das jegliches Licht in sich aufnahm und ich schluckte, obwohl mein Mund vollkommen ausgetrocknet war.

Geisterbahnen und Horrorfilme hatten mir nie etwas ausgemacht, aber als direkt vor mir das bleiche Gesicht einer Frau erschien, schrie ich laut auf. Jeder Muskel in meinem Körper war erstarrt und machte mich bewegungsunfähig.

»Entschuldige mein Kind, ich habe keine Süßigkeiten im Haus.« Die Stimme der älteren Frau war belegt, als habe sie seit einer Ewigkeit nicht gesprochen. Sie war aus dem dunklen Eingang herausgetreten und nun, da der Mond ihre Züge beleuchtete, erkannte ich die eingefallenen Wangen und die stahlblauen Augen.

Ich nahm einige bewusste Atemzüge, um meinen polternden Herzschlag zu beruhigen, und testete, ob sich meine Beine wieder bewegen ließen, indem ich von einen Fuß auf den anderen Fuß trat. »Ich bin nicht deswegen hier. Sind Sie …« Ich räusperte mich. »Sind Sie Miss Wellington?«

Ihre schmalen Lippen bildeten ein Lächeln. »So nennt man mich wohl. Wer ich bin lässt sich jedoch nicht mit wenigen Worten sagen.« Sie trat einen Schritt zur Seite und deutete mir mit der Hand einzutreten.

Ich zögerte. »Ist dieser Zettel von Ihnen?« Erst als ich versuchte, das Papier aus der Hosentasche zu fischen, bemerkte ich, dass meine Hände zitterten. »Wer erwartet mich? Und wieso ausgerechnet hier? Warum heute?«

»Mila, mein Kind«, unterbrach Miss Wellington die Fragen, die ungebremst aus meinem Mund purzelten. »Eure Zeit ist begrenzt und reicht nicht aus für all deine Fragen. Du wirst verstehen.«

Mein Mund öffnete und schloss sich wieder. Ich schlang die Arme um meinen Körper, folgte dann aber der älteren Frau. Beim Überschreiten der Türschwelle zog plötzlich ein Lufthauch an meinem Nacken vorbei und ich glaubte, meinen geflüsterten Namen gehört zu haben. Ich wandte meinen Kopf, doch der schwarze Durchgang hatte den Wald ausgeschlossen und ich konnte nichts mehr erkennen.



»Wieso magst du Halloween nicht?« Miss Wellingtons Stimme ließ mich erschrocken zu ihr umdrehen. Wieso wusste sie das und woher kannte sie überhaupt meinen Namen? Geschweige denn mein Schließfach in der Schule.

»Als Kind mochte ich es sehr gern«, war meine Antwort, obwohl ich viel lieber all meine Fragen gestellt hätte. Über diese Geschichte sprach ich mit niemandem, aber ich ging normalerweise auch nicht mitten in der Nacht zum Anwesen einer unheimlichen Frau, die in der ganzen Stadt als Verrückte oder Hexe bekannt war – je nachdem.

»Was ist geschehen?«, fragte mich nun ebendiese Frau und wirkte im Licht des riesigen Kronleuchters an der Decke nicht mehr gruselig, sondern wie eine nette alte Dame von nebenan, die am Wochenende Besuch von ihren Enkelkindern bekam. Nur das rote Samtkleid und das Haarnetz passten weniger ins Bild und erweckten den Eindruck, als stammte sie aus einem vergangenen Jahrhundert.

»Ich war neun Jahre alt und wollte wie jedes Jahr mit meinen Freundinnen auf eine Süßes oder Saures Tour gehen«, begann ich zu erzählen.

»Ach, wie unhöflich von mir«, wandte Miss Wellington ein. »Setz dich doch, Liebes. Ich setze Tee auf und bringe Kekse.« Sie deutete auf eine in die Jahre gekommene Sitzbank, die mit grünem Samt bezogen war und in der Mitte des Raumes an einem antiken Holztisch stand. Dort gab es noch vier weitere Sitzgelegenheiten, Stühle mit demselben Bezug.

Ohne meine Reaktion abzuwarten, verschwand die Frau durch einen Durchgang in einen anderen Raum und die Absätze ihrer schwarzen Stiefel hinterließen ein lautes Klacken auf dem Parkett, das von den hohen Wänden widerhallte.

Da mir das Herumstehen unangenehm war, entschied ich, ihrer Bitte nachzukommen und mich zu setzen. Ich schwankte in Gedanken zwischen gespannter Erwartung, grausigem Entsetzen und lautem Lachen. Wenn das hier nicht genauso wie eine Szene aus einem schlechten Horror-Film war, dann wusste ich auch nicht.

In dem Moment fegte ein kräftiger Windstoß durch den Raum, die Lichter des Kronleuchters erloschen und die Gläser in den Vitrinen klirrten. Fröstelnd rieb ich mir über die Arme. Die Temperatur war mit einem Mal um einige Grad gesunken. Und auch, wenn ich ein vollkommen rational denkender Mensch war, musste auch ich endlich einsehen, dass hier etwas nicht mit rechten Dingen zugehen konnte.

»Miss Wellington?«, rief ich in der Hoffnung, dass das Lauschen meiner eigenen Stimme mich beruhigen konnte. Doch das tat es nicht. Die Hallwirkung des Raums hatte zugenommen und ich konnte noch immer nichts erkennen. Kaltes Blut kroch mir durch die Adern und ich wippte mit den Füßen auf und ab, während ich die Hände fest in das Polster unter mir krallte.

Wenn ich die Augen schloss und dann wieder öffnete, würde ich in meinem Bett wieder aufwachen. So musste es einfach sein.

»Mila.« Es war nicht mein Name, sondern die Stimme, welche ihn flüsterte, die mein Herz zu einem spontanen Sprint anspornte. Eine Stimme, die ich all die Jahre so sehr vermisst und bei dessen Erinnerung immer wieder dieses lähmende Gefühl der Schuld über meinen Rücken gekrochen war.

»Grandma.« Ich öffnete die Lider und wurde kurz geblendet von dem strahlenden, bläulichen Licht vor mir.

Als ich im nächsten Moment die feinen Umrisse einer Gestalt ausmachte, schlug ich mir die Hand vor den Mund und keuchte.

»Hab keine Angst, Milena.«

Ich schluckte, doch der feste Kloß in meinem Hals verschwand nicht. »Es tut mir so leid, Grandma.« Die Tränen mir liefen ungehindert über die Wangen und tropften auf meine Hände.

»Nicht weinen.« Die durchschimmernde Gestalt meiner verstorbenen Großmutter streckte den Arm nach mir aus, als wollte sie mit ihrer Hand die Tränen fortwischen. Doch alles, was ich spürte, war ein kühler Hauch. »Du warst ein Kind.«

Ja, ich war ein Kind gewesen. Ein Kind, das sich nicht hatte von seiner Oma verabschieden können. »Aber ich hätte dich nicht im Stich lassen dürfen. Ich hätte nicht …« die Stimme versagte mir.

»Milena«, ihre Stimme war so warm. So voller Liebe. »Dich trifft keine Schuld.«

Es waren diese Worte, die alle Dämme brachen. Ich sackte schluchzend in mich zusammen und beinahe war es, als könnte ich für einen Augenblick die stützende Umarmung meiner Grandma spüren. Und das schwere Gefühl ließ mit jeder Träne mehr nach. Befreite mich von der Last, die all die Jahre auf meinen Schultern gelastet hatte, ohne dass ich mir dessen bewusst gewesen war.

Ich verließ sogar mit einem leichten Lächeln das Anwesen von Miss Wellington, die in dieser Nacht nicht mehr aufgetaucht war. Mittlerweile zweifelte ich sogar daran, dass sie überhaupt je dort gewesen war. Oder der Geist meiner Oma. Das Einzige, was ich mit Gewissheit wusste, war, dass ich mich nicht länger schuldig fühlen musste. Dafür, dass ich in der Nacht von Halloween vor acht Jahren nicht bei meiner Grandma gewesen war, als sie gestorben war. Sie wusste, dass ich sie von ganzem Herzen liebte und sie fühlte ebenso für mich.

Erst Tage später erfuhr ich durch meine Recherchen, dass Miss Wellington einst die Schlossherrin des Anwesens gewesen war. Die Schwarz-Weiß-Fotografien sahen der Dame, die ich kennengelernt zu haben glaubte, zum Verwechseln ähnlich. Doch wer wusste schon, was die Magie der Nacht von Halloween bewirken konnte? Es hieß, die Grenzen zwischen den Welten seien ganz besonders um Mitternacht hauchzart.


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